Translation and the “Third Reich” II - Historiographic Challenges and Approaches

Ludmilla I. Grischaewa (Staatliche Universität Woronesch, Russland)

Die staatliche Propaganda als Einflussfaktor bei der lebenswichtigen Entscheidung in Grenzsituationen

 

Die Translationshistoriographie ist ohne Zweifel eine interdisziplinäre Forschungsrichtung und liefert demzufolge heterogene Erkenntnisse, deren theoretischer und angewandter Beitrag zu jeder einzelnen Disziplin – Translatologie, Geschichte, Sprachwissenschaft, Kulturanthropologie, Soziologie, Psychologie, Kommunikationswissenschaft u. a. m. – zwar verschieden ist, aber zu erwarten und als relevant einzuschätzen ist.

Im vorliegenden Beitrag, der einen Bezug sowohl auf die deutsch-russische Geschichte als auch auf die kulturspezifischen diskursiven Strategien und deren Realisationsweisen hat, ist unter anderem die Rede von der staatlichen Propaganda im ‚Dritten Reich‘ als Einflussfaktor auf die Entscheidung von Wehrmachts-Soldaten, die die sowjetische Gefangenschaft als einen der allerwichtigsten Lebensabschnitte erlebten, also in Grenzsituationen. Analysiert werden die Erinnerungen der deutschen Wehrmachts-Soldaten an ihre Ostfront-Erlebnisse und die sowjetische Gefangenschaft, die von Elke Scherstjanoj durch Oral-History-Verfahren gesammelt und in einem Band zusammengetragen worden sind. Die interdisziplinäre Analyse von 47 Texten macht deutlich, dass diese Texte unmittelbar und mittelbar verschiedenartige Informationen über die interkulturelle Kommunikation als solche sowie über die translatologisch relevanten Situationen liefern und somit für die Translatologie und deren Geschichte insbesondere von Interesse sein können.

 

Es scheint aus diesem Grunde folgerichtig anzunehmen, dass sich jeder Textproduzent, von denen hier die Rede ist, an die Bedeutsamkeit der nationalsozialistischen Parolen in bestimmten Situationen erinnert. Dem ist aber nicht so: Zwar impliziert sie jeder Text auf verschiede Art und Weise, aber nur in einigen Fällen werden sie auch als solche bezeichnet und wörtlich wiedergegeben. Das kann unmöglich Zufall sein, und die Ursache dafür ist mit  textsyntaktischen und textsemantischen Makro- und Mikro-Analysen von Erinnerungen zu suchen.  

Deshalb wird das oben angesprochene Problem vor dem Hintergrund einer Dialektik von kollektiver vs. personaler Identität behandelt.

Erwartet wird, dass dieses Herangehen an historisch, soziokulturell und psychosozial wichtige Texte die translatologisch relevanten Faktoren zu ermitteln erlaubt, die entscheidungsrelevant für Translationsstrategien sind. Die gewonnenen Ergebnisse sind bei der Übersetzung von Texten der Gattung Memoiren, die heute immer öfter als wissenschaftliche Quelle in verschiedenen Bereichen benötigt werden, hilfreich.

 

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